pEpikur. Protokoll zu Menoikeus.Brief an Menoikeus, 133-135 am 05.03.23 _blank
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[133] Ἐπεὶ τίνα νομίζεις εἶναι κρείττονα τοῦ[1] καὶ περὶ θεῶν ὅσια δοξάζοντος καὶ περὶ θανάτου διὰ παντὸς ἀφόβως ἔχοντος καὶ τὸ τῆς φύσεως ἐπιλελογισμένου τέλος, καὶ τὸ μὲν τῶν ἀγαθῶν πέρας ὡς ἔστιν εὐσυμπλήρωτόν τε καὶ εὐπόριστον διαλαμβάνοντος, τὸ δὲ τῶν κακῶν ὡς ἢ χρόνους ἢ πόνους ἔχει βραχεῖς; τὴν δὲ ὑπό τινων δεσπότιν εἰσαγομένην πάντων διαγελώντος <εἱμαρμένην καὶ μᾶλλον ἃ μὲν κατ’ ἀνάγκην γίγνεσθαι λέγοντος,> ἃ δὲ ἀπὸ τύχης, ἃ δὲ παρ’ ἡμᾶς; διὰ τὸ τὴν μὲν ἀνάγκην ἀνυπεύθυνον εἶναι, τὴν δὲ τύχην ἄστατον ὁρᾶν, τὸ δὲ παρ’ ἡμᾶς ἀδέσποτον, ᾧ καὶ τὸ μεμπτὸν καὶ τὸ ἐναντίον παρακολουθεῖν πέφυκεν. | Denn wer, meinst du, sei besser <dran> und der sich zum Tod durchaus furchtlos verhält, und der das Ziel der Natur ^bedacht hat^, und der erkennt, dass das Ausmaß des Guten leicht zu erfüllen und zu erreichen ist °°, <als der>, der das als Herrin über alles von einigen eingeführte Schicksal verlacht das andere aus Zufall und das andere durch uns? Weil die Notwendigkeit nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann, und weil man sieht, dass der Zufall unbeständig ist, und dass das von uns „Ausgehende“ nicht fremdbestimmt ist, dem auch der Tadel und sein Gegenteil |
[134] ἐπεὶ κρεῖττον ἦν[2] τῷ περὶ θεῶν μύθῳ κατακολουθεῖν ἢ τῇ τῶν φυσικῶν εἱμαρμένῃ δουλεύειν· ὁ μὲν [3]γὰρ ἐλπίδα παραιτήσεως ὑπογράφει θεῶν διὰ τιμῆς, ἣ δὲ[4] ἀπαραίτητον ἔχει τὴν ἀνάγκην. τὴν δὲ τύχην οὔτε θεὸν ὡς οἱ πολλοὶ νομίζουσιν ὑπολαμβάνων, - οὐθὲν γὰρ ἀτάκτως θεῷ πράττεται – οὔτε ἀβέβαιον αἰτίαν, <οὐκ> οἴεται[5] μὲν γὰρ ἀγαθὸν ἢ κακὸν ἐκ ταύτης[6] πρὸς τὸ μακαρίως ζῆν ἀνθρώποις δίδοσθαι, ἀρχὰς μέντοι μεγάλων ἀγαθῶν ἢ κακῶν ὑπὸ ταύτης χορηγεῖσθαι· | Denn es wäre besser, der Erzählung über die Götter zu folgen als dem Schicksal der Naturphilosophen zu dienen. Denn die erstere setzt auf die Hoffnung der Vergebung der Götter wegen ihrer Verehrung, Wer aber die Tyche weder als einen Gott, wie die meisten glauben, annimmt, - denn nichts wird ohne Ordnung von Gott gemacht – noch als eine unsichere Ursache glaubt ja zwar nicht, dass Gutes oder Schlechtes von ihm (vom Zufall) fürs Glücklich-Leben den Menschen gegeben wird, dass freilich die Voraussetzungen fürs Gute oder Schlechte von ihm bestimmt werden; |
[135] κρεῖττον εἶναι νομίζων εὐλογίστως ἀτυχεῖν ἢ ἀλογίστως εὐτυχεῖν· βέλτιον γὰρ ἐν ταῖς πράξεσι τὸ καλῶς κριθὲν <μὴ ὀρθωθῆναι ἢ τὸ μὴ καλῶς κριθὲν> ὀρθωθῆναι διὰ ταύτην. Ταῦτα οὖν καὶ τὰ τούτοις συγγενῆ μελέτα πρὸς σεαυτὸν ἡμέρας καὶ νυκτὸς πρός τε τὸν ὅμοιον σεαυτῷ, καὶ οὐδέποτε οὔθ’ ὕπαρ οὔτ’ ὄναρ διαταραχθήσῃ, ζήσῃ δὲ ὡς θεὸς ἐν ἀνθρώποις. οὐθὲν γὰρ ἔοικε θνητῷ ζῴῳ ζῶν ἄνθρωπος ἐν ἀθανάτοις ἀγαθοῖς. | denn er meint, dass es besser sei mit Verstand Unglück als mit Unverstand Glück zu haben. Denn besser sei es beim Handeln, als wenn das nicht gut Beurteilte sich durch dieses einstellt. Dies also und das damit Verwandte übe dir gegenüber Tag und Nacht und gegenüber Deinesgleichen, und niemals, sei es wachend oder träumend, lass dich beunruhigen, und du wirst leben wie ein Gott bei <den> Menschen. Denn in nichts gleicht einem sterblichen Lebewesen ein im unsterblichen Guten lebender Mensch. |
Zum Thema Τύχη
Das Klarste fand ich im „Kleinen Pauly“; hier Auszüge:
Sie ist „Person-Bereicheinheit, obwohl ganz wenig Mythisches um ihre Gestalt entwickelt wurde; urspr. ambivalent, neigt T. doch zur guten Bedeutung.“ Bei Hesiod Tochter des Okeanos, im homerischen Hymnos an Demeter Gespielin der Persephone, bei Pindar Tochter des Zeus, was über ihr Wesen nichts aussagt. „Homer kennt T. nicht. In der Folgezeit nimmt ihre Bedeutung immer mehr zu. […] In der neuen Komödie spielt sie eine große Rolle (eher im neg. Sinne als gefährlich, ungerecht, sinnlos […], was mit den unsicheren Verhältnissen der Z. und mehr noch mit der Entleerung des alten Götterglaubens Hand in Hand geht; urspr. aber war sie θεός […]. Kult seit dem 4. Jh. vor Chr. […], so in Theben, Athen, Megara, Megalopolis. In hellenist. Z. verbreitete sich der Kult. Es wurde auch jedem Menschen eine T. zugeschrieben.“ [FH: d.i. gesteigerter Individualismus, vgl. die heutige Zunahme der Vorliebe für Engel und Schutzengel]. „Oft wurde die Stadtgöttin als T. gefasst.“ z.B. Antiochia. Häufige bildl. Darstellungen mit Steuerruder, Füllhorn, Mauerkrone „auf einer Kugel stehend (Unsicherheit)“. [Interessant ist der Hinweis auf Epikurs Altersgenossen Menander. Ich habe in meiner WBG-Ausgabe Menanders nachgeschaut und dann bei Meineke in der alten Ausgabe von aus dem Jahre 1823 τύχη in die Suche eingegeben und ca. 35 Einträge gefunden: https://books.google.de/books?q=%CF%84%E1%BD%BB%CF%87%CE%B7&id=ac4AAAAAYAAJ&hl=de&output=text#v=snippet&q=%CF%84%E1%BD%BB%CF%87%CE%B7&f=false Ähnliches Ergebnis bei Eingabe von τύχης und der anderen Kasus. Das wäre eine Dissertation wert, wenn‘s die nicht schon längst gibt. – Immerhin gibt es Gregor Vogt-Spira: Dramaturgie des Zufalls: Tyche und Handeln in der Komödie Menanders. C. H. Beck, München 1992 – Hier ein wenig von dem, was ich mir herausgeschrieben habe. Es sind Meinungen verschiedener Rollen, sie geben ein Spektrum der Einstellungen:]
Men.Dyskolos.338 ff.: |
Gibt dir keine Mühe, Bester. du wirst es vergeblich tun. lass uns, die gezwungen sind, dies tragen, denen die Tyche es gibt. |
Men.Sam.163: |
Was von selbst kommt, ist, wie es scheint, wohl ein Gott und gewährt viele, der unvorhersehbaren Dinge. |
Μen.fragm.15 (WBG): |
Was von selbst kommt, unsichtbar hilft es uns. |
Μen.fragm.16 (WBG): |
Das Zufällige bringt ja viele Veränderungen. |
Μen.fragm.17 (WBG): |
Denn auch wenn es einem sehr gut geht, schwelgt er unsicher. Der Strom der Tyche ändert sich schnell. |
Μen.fragm.18 (WBG): |
Ein wie schillerndes und schweifendes Ding ist Tyche. |
Μen.fragm.19 (WBG): |
Εin schwer zu verfolgendes Ding ist Tyche. |
Μen.fragm. Meineke 1823, S.373 |
Und selbst handeln, nicht nur die Hoffnungen auf die Tyche, Kind, muss man gänzlich setzen, von dem, was man will. Sondern auch dadurch, dass man Tyche hilft, handelt die Tyche leichter, wenn sie mit einem anderen dies nicht allein macht. |
Μen.fragm. Meineke 1823, S.414: |
Keine Tyche (Kein Zufall) ist für uns Gott, sie (er) ist es nicht, sondern, was von selbst kommt, wie es jeden trifft, wird <bloß> Tyche genannt. |
Men. fragm. 22 (WBG) = Meineke S. 168 |
Hört auf, Verstand zu haben. Denn keinesfalls größeres ist der menschliche Verstand als der der Tyche, sei es göttlicher Hauch, sei es Geist. Dies ist das, was alles lenkt und wendet und bewahrt. Die sterbliche Voraussicht ist Rauch und Geschwätz. Lasst euch überzeugen und tadelt mich nicht; alles, was wir denken oder meinen oder tun, ist Tyche, wir selbst haben nur mit unterschrieben. Tyche regiert alles. Sie muss man Verstand und Voraussicht der Götter nennen allein, wenn anders man sich nicht an leeren Wörtern erfreut. |
Zum Thema ἀθάνατα ἀγαθά
Ausführlich haben wir darüber gesprochen, was mit diesen letzten Worten des Menoikeus-Briefes wirklich gemeint sein kann.
Es kann nicht das moralisch Gute gemeint sein wie etwa die Tugenden; den sie gehen bei Epikur ja erst aus der ἡδονή hervor. Es können auch nicht die Freuden des Wohlstands gemeint sein; denn sie werden bei Epikur relativiert, wenn doch auch Wasser und Brot den Hunger stillt.
Es kann nur der erreichte Zustand des Freiseins von Unlust gemeint sein, der gegebenenfalls durch Genügsamkeit hervorgerufen wird. Es ist die ἀταραξία, die das Ziel des Lebens und damit die höchste Lust ist.
Irritierend scheint dazu der Plural ἐν ἀθανάτοις ἀγαθοῖς zu sein. Vielleicht sind die Stufen mitgedacht, die zur Überwindung oder besser: Erfüllung der ἐπιθυμίαι ἀναγκαίαι führen. Vielleicht ist der Plural im Neutrum auch rhetorisch als das Allumfassende zu verstehen.
Hossenfeld nennt ein Kapitel seiner Darstellung „Die abgeleiteten Güter“ und zählt auf „Tugend“ (φρόνησις, φρόνιμος, καλός, δίκαιος), „Selbstgenügsamkeit und Unauffälligkeit“ (αὐτάρκεια, ἐκχώρησις τῶν πολλῶν, „Staat und Freundschaft“ (τὸ τῆς φύσεως δίκαιον, συνθήκη, φιλία).
Nächster Termin: Sonntag, 12.03.23, 10:00 Uhr Wir beginnen mit pEpikr.Text κύριαι δόξαι
Vorbereitung dazu: pEpikr.kd, soweit Ihr mögt.